Ich habe schlecht geträumt. Die kaputte Stoßstange am Wohnmobil macht mich mental einfach fertig! Es ist zwar verkehrstechnisch nicht so schlimm und wir können damit problemlos fahren, aber trotzdem ärgere ich mich auch jetzt, fast 12 Stunden nach dem Dilemma, noch immer über meine eigene Blödheit!
Als kleiner Trost heitert mich nur die Statistik auf, denn hiernach sollte uns nun nichts mehr passieren.

Es wird Zeit nach vorne zu schauen und sich auf den Urlaub zu freuen. Vielleicht schaffe ich es auch endlich mal abzuschalten. Ich sollte es so wie Anja sehen. „Shit happens“ und das stimmt in der Tat.
Nur warum happend der Shit nur immer uns?
Oder in dem Fall mir?

Wir starten den Tag mit einem gemeinsamen Frühstück, direkt danach beginnen dann unsere letzten Vorbereitungen.

Anja kümmert sich um die restliche Wäsche, bügelt die letzten Klamotten, die wir auf die Reise mitnehmen wollen.
Ich checke wetter.de und wetter.com, was uns Tendenzen bezüglich Temperatur und Wetterlage in Schottland vorhersagen soll und welche Kleidung wir entsprechend einpacken.

Dafür, dass es die ganze letzte Woche in Glasgow geregnet haben soll, sieht die Vorhersage heute erstaunlich gut aus.
Allenfalls mal bedecktes Wetter wird uns für die nächsten Tage angezeigt. Wir entscheiden uns kleidungstechnisch für einen guten Mix und nehmen neben wetterfesten Sachen sogar kurze Sachen und Badesachen mit. Man kann ja nie wissen.

Mit dem ersten Korb an Wäsche starte ich den Weg zum Wohnmobil. Wir wohnen ja recht nahe bei Köln und so habe ich gehofft, dass die Heinzelmännchen von Köln vielleicht heute Nacht ihr Revival hatten und meine Stoßstange in einem Akt der Gnade repariert haben:
Haben sie aber leider nicht. Schade 🙁
Die Stoßstange ist noch immer kaputt. Ach, warum kann ich das nicht einfach vergessen?
Ich will es nun versuchen!

Als erstes leere ich mal den Tank und lasse eine komplette Ladung Frischwasser durch die Tanks laufen, um die Reste des Reinigers aus den Tanks und den Leitungen zu spülen.
Dies erledigen wir mit dem flammeneuen Gardena- Gartenschlauch.

Der Gardenaschlauch ist klasse, Anja hatte Recht. Hätte nicht gedacht, dass hier doch ein Qualitätsunterschied zu unserem
5,- € – Billigschlauch besteht. Aber ich muss eingestehen, dass wir mit dem ersten Schlauch wirklich am falschen Ende gespart haben. Der weinrote Schlauch verheddert sich wirklich zu schnell, knickt ein und bekommt Falten. Den Schlauch von Gardena kann man viel besser aufrollen und gerollt lagern, ohne dass er Knicke bekommt.
Nein, ich arbeite nicht bei Gardena und bekomme auch kein Geld, dass ich das schreibe. Ich wollte es nur erwähnt haben, weil es mir beim Wasser fassen nunmal durch den Kopf ging.

         
      Wohni in der Einfahrt                  der Schlauch wird verlängert           Ganz ohne Sauerei geht es natürlich nicht…

Nachdem die Wassertanks gefüllt sind, geht es ans Einräumen. die schweren Wintersachen, ein dritter Sitzstuhl (am Edersee hat irgendwie ein dritter Sitz gefehlt und wir mussten die Einstiegshilfe missbrauchen…), frische Bettwäsche, die Reiseführer, Waschzeug, Lebensmittel, Vorräte und natürlich die Fahrräder werden verladen.
Bin mal gespannt, ob wir die Fahrräder überhaupt brauchen. Ist schon so eine Sache mit den Rädern. Unser Wohni klemmen wir natürlich zum Vorkühlen des Kühlschranks auch erstmal ans Netz.
Und getankt wird auch, zwar noch nicht voll, aber dafür günstig.
Was wir noch an Rapsöl da haben, kippen wir in den Tank.

    
Rapsöl mit der extra Portion an Vitaminen…

Fährt man in den Urlaub und bleibt länger an einem wirklich schönen Ort, dann kommen die Fahrräder zur Naherkundung der Räder wirklich gelegen.
Ich bin im Nachhinein froh, dass wir damals die Räder mit nach Dänemark genommen haben. Auf Fanö war es so wunderschön, das Wetter war sowas von klasse und die ganze Insel ist bestens für die Wünsche und Bedürfnisse eines Radfahrers geeignet.
Völlig anders verhielt es sich am Nordkapp 2006. Wir sind jeden Tag nur gefahren und auch, wenn wir damals die Möglichkeit gehabt hätten die Fahrräder mitzunehmen, wir haben sie nicht vermisst.
Diese Reise wird wohl so ein Mittelding. Wir müssen zwar nicht wie auf dem Weg zum Nordkapp jeden Tag mehrere Hundert Kilometer fahren, aber mehrere Tage ausruhen können wir uns auch nicht leisten. Ich würde tendenziell sogar die Fahrräder lieber zuhause lassen, aber Anja hat darauf bestanden. Immerhin haben wir beide 2 (fast) neue Räder und Anja hat sich so sehr gewünscht, in Schottland mit dem Rad zu fahren.
Ich sehe zwar schon kommen, dass wir die Räder wieder mit nach Hause bringen, ohne sie ein einziges Mal benutzt zu haben, aber was macht man nicht alles für die liebste Ehefrau der Welt?

Ob sie weiß, dass man mit dem Fahrrad auch auf der linken Seite fährt, wo es sie doch so sehr davor graut?
Sollte ich es ihr sagen?
Nee, besser nicht, das soll sie mal schön selbst heraus finden, wenn wir das erste Mal in Schottland mit dem Rad unterwegs sein werden… 😉

    
     So, die Fahrräder sind auch verladen                   Alles drin, ein bisschen hängen wir hinten schon durch…

Wir hatten eigentlich vor gehabt so gegen 14 Uhr los zu fahren.
Aber irgendwie hat alles doch ein wenig länger gedauert, als wir eigentlich gedacht haben und so ist es kurz vor 4, als wir endlich auf den bequemen Plätzen im Wohnmobil Platz nehmen. Und fertig sind wir jetzt noch lange nicht. Tanken müssen wir auch noch und den Reifendruck habe ich auch vergessen zu überprüfen.

Zuhause wünschen wir unseren Katzen alles Gute und verabschieden uns. Es ist für uns jedes Mal schwer uns von den kleinen Fellnasen zu trennen. Aber man muss realistisch sein. Nach England können sie auf keinen Fall mit. Und überhaupt ist das mit dem Wohnmobil überhaupt das richtige für die beiden?
Für die Katzen ist ihre gewohnte und vertraute Umgebung sicherlich das beste, was ihnen passieren kann. Mein Vater kommt jeden Tag und gibt frisches Futter und spielt ein bisschen mit den beiden. Klar sind die beiden die ganze Nacht und auch tagsüber viel alleine. Aber immerhin haben sie sich zum spielen. Und wie gesagt, lieber allein zuhause, als unter Streß unterwegs. Irgendwann werden wir es mal versuchen die beiden mitzunehmen. Nur ein Wochenende um zu sehen, ob es was für Katzen ist. Wenn nicht, dann machen wir es auch nicht. So viel Egoist dass wir die Katzen gegen ihren Willen nur für uns mitnehmen sind wir nicht, auch wenn der Abschied jedes Mal schwer fällt.

Aber es nützt nichts, wir wollen los und lassen nunmal etwas zurück, was uns lieb ist. Wenigstens haben wir so etwas, auf das wir uns unterwegs freuen können, wenn es wieder nach Hause geht. Da hilft gegen die Wehmütigkeit, wenn der Urlaub zu Ende geht. Zuhause wartet jemand auf uns…

Wir tanken an unserer Hit- Tankstelle erstmal bei.
Nicht viel, gerade soviel, dass es bis nach Liege reicht.
Ich hatte gehofft, dass es mit dem Rest an Diesel und unserem Rapsöl reichen könnte, aber die Tanknadel zeigt leider etwas anderes.
Ist aber nicht schlimm, nur ein paar Liter noch, denn wir werden das erste Mal von der Autobahn abfahren und den Tank an unserer günstigen Shell richtig voll machen.

Danach prüfen wir noch den Reifendruck, der ist aber OK.
Dann geht es endlich los auf die Autobahn A 4 in Richtung Aachen, es ist grad 16 Uhr durch.
Schottland, wir kommen!

              
Es geht los, wir sind unterwegs             Noch schnell tanken                 dann geht es ab auf die A 4          (3x k)

Während wir so unterwegs sind und ich mich umschaue kann ich mir den Gedanken nicht verkneifen, dass ich etwas vergessen habe. Nur was kann es sein? Mein Reisepass? Nee, den habe ich, denn mein Perso ist vor kurzem abgelaufen und ich habe es noch nicht zum Amt geschafft den neuen zu beantragen.
Kamera haben wir, Portemonaie und Handy sind da, also was fehlt?
Ist es nicht etwas kalt hier vorne?
MEINE JACKE!
Nicht schon wieder….
Ich habe es tatsächlich fertig gebracht auf der Reise in den tiefsten Norden Schottlands, in das Land, wo es eigentlich immer Katzen und Hunde regnet, meine Jacke zu vergessen. Aber nicht nur eine, nein ALLE!
Ich habe keine einzige Jacke dabei! Keine leichte Sommerjacke und keinen dicken Wintermantel. Nur meine Pullover, aber keine Jacke.
Anja muss lachen, ich finde das nicht witzig, hätte ihr ja auch mal einfallen können, immerhin war sie für die Klamotten zuständig. Nehmen denn die Unglücklichkeiten kein Ende? Schottland ohne Jacke, geht das überhaupt? Zurück fahren?
Wir sind eh schon spät dran, 2 Stunden hinter dem Zeitplan und besonders schnell kommen wir auch nicht vorwärts.
„Ach, dann eben ohne Jacke!“ rufe ich aus, Anja nickt zustimmend. Ich habe ja Pullover, kann 2 Shirts drunter ziehen.
Und wenn mir doch kalt wird, in Schottland kann man sich bestimmt auch Jacken kaufen. Und gegen den Regen muss dann eben der Regenschirm schützen. Wird schon gehen. Und vielleicht passt mir ja auch eine von Anjas Jacken. Sehe dann zwar aus wie Piet Klocke durch die kurzen Ärmel, aber wenigstens ist mir dann nicht kalt. Und so geht es eben ohne Jacke weiter…

Nach ein paar Minuten kommt mir das nächste zu Hause vergessene in den Sinn.
Unser Magellan GPS 300 ist ebenfalls nicht mit an Bord.
Das ist gleich doppelt schlimm! Nicht nur, dass wir nun die GPS-Koordinaten aus dem Schottland- Womo- Führer nicht nutzen können, wir haben auch keine Möglichkeit aufs Geocachen.
Oh Mann! Was bin ich nur für ein hirnloser Hirni!
Nützt ja nichts, grummelnd und schmollend geht die Reise erstmal weiter…

Die Grenze bei Aachen erreichen wir gegen 16:45 Uhr und ohne eine Kontrolle sind wir in Belgien.
Auf der vom Zustand her traurigen „Rue de Badouin“ geht es zunächst in Richtung Liege.

Mein Tankkonzept ist übrigens aufgegangen, ich habe gerade so viel in Kerpen getankt, dass wir bis Liege gekommen sind. Gut, ein paar Kilometer mehr wären aber auch noch drin gewesen und für den Notfall hätten wir noch unser Rapsöl dabei gehabt.
In Liege geht es erstmal von der Autobahn ab, wir machen unsere erste Tankpause. Wir überlegen, ob wir im Quick- Burger eine Pause machen wollen, aber da wir einerseits knapp dran sind und ich andererseits keine Lust habe meiner neuen Erzfeindin, der Klofrau des Quick-Burgers Liege zu begegnen, tanken wir nur und fahren dann gleich weiter in Richtung Brüssel.
Eine Nachricht an Annika setzen wir auch ab. Sie ist zum Glück nicht böse und bittet uns Bescheid zu sagen, wenn wir den Rand von Brügge erreichen, dann würde sie sich auf den Weg zum Treffpunkt machen. Na gut, dann wird aus dem verabredeten Nachmittagscafe eben ein kurzfristiges Abendessen. Auch nicht schlimm…

         
In Liege geht es ab von der Autobahn, an der Shell tanken wir für 0,99 € / Liter den Diesel voll (beide k)

Vollgetankt geht es nun auf der Autobahn weiter. So mit vollen Tanks und voller Beladung fährt es sich schon etwas schwerer, aber schlimm ist es nicht. Das Wetter spielt mit und wir kommen mit 95 km/h und wenig LKW- Verkehr sehr gut vorran.

Von Liege aus geht es nun in einem Rutsch durch Belgien bis knapp an die Küste.
Die Lethargie, die sich auf Autobahnen immer mal wieder einstellt, ist durch den kleinen Zwischenstopp in Liege für den Moment wie weg geblasen. Wir freuen uns wieder auf Schottland und reden über das, was wir alles sehen wollen und sehen werden.
Schade nur, das es für die Insel Skye und das westliche Schottland nicht reicht. Die Insel wird in vielen Reiseführern beschrieben, ist beinahe ein Muss für den Schottlandtourist.
Wenn man aber so wie wir nur wenige Tage zur Verfügung hat, muss man eben an irgend einer Stelle Abstriche machen.
Wir wollen John O´Groats, Nessie, Urquhart Castle, Rosslyn Chapel, unser Land, die Highlands, die Berge und das Meer sehen. Das wird eng und für einen Abstecher nach links zur Insel Skye reicht es dann eben zeitlich nicht mehr.

    
Wir sind nicht die einzigen Camper auf der Bahn… (aber die schnellsten 🙂

Für heute Abend heißt das vorrangige Ziel neben dem Hauptziel Calais aber erstmal Brügge.
Calais schaffen wir dann nach unserem Abstecher und mit etwas Glück sind wir planmässig morgen früh in Groß-Britannien.
Mit etwas Glück frühstücken wir morgen sogar schon genüsslich in Großbritannien. Habe meiner Frau die ganzen letzten Wochen jeden Montag einen lieben Gruß gesendet, dass ich mich schon auf Schottland freue und sie heute in 3 Wochen, dann in 2 Wochen und schließlich nächste Woche zum Frühstück einlade.

Aber auf ein deftiges englisches Frühstück mit Speck, Eier, Bohnen, warmen Tomaten und Würstchen.
Uah, Würg…

Auf nach Brügge:
Dieser kleine Abstecher hat nichts mit der eigentlichen Reise nach Schottland zu tun.
Wer sich also den kleinen Abschnitt sparen möchte, kann problemlos die folgenden Zeilen überspringen, ohne Angst zu haben etwas zu verpassen: Einfach Klick Wer natürlich die ganze Geschichte lesen will, der liest einfach weiter:

Wir fahren von der Autobahn ab und erreichen recht schnell den Rand von Brügge, ab hier folgen wir der Beschilderung Centrum.
Es wird schon dunkel, keine besonders guten Vorrausetzungen mit einem Wohnmobil durch eine fremde Stadt zu kurven…
Anja telefoniert mit Annika, die uns instruiert, dass wir uns im inneren Ring an der Kirche treffen. Na das kann ja heiter werden. Wir fragen sie, wie man denn mit dem Auto bzw. mit dem Wohnmobil am besten dorthin kommt.
Sie meint, dass sie mit dem Auto jetzt so direkt und persönlich noch nicht nach Brügge rein gefahren wäre.

Na Bravo! Das sind ja wirklich die besten Vorraussetzungen…

Wir folgen zunächst der Beschilderung Centrum, durchqueren dann einen Tunnel und stehen plötzlich vor dem Bahnhof. Gleich am Bahnhof befindet sich plötzlich ein Schild mit einem Wohnmobilsymbol drauf. Ja supi! Selten gesehen, hier vorhanden. Wir fahren dem Schild nach, sind aber kurz drauf etwas enttäuscht, da uns dieser Weg wieder ein kleines Stückchen aus der Stadt heraus führt.
Wir erreichen dafür aber einen Wohnmobilstellplatz in der Nähe des Busbahnhofes! Auch nicht schlecht, das kann man vielleicht mal gebrauchen…
Der Stellplatz ist in 2 Untergruppen unterteilt, es gibt einmal die Nachtplätze, die hier gut besucht sind und die Tagesplätze. Beides exklusiv für Wohnmobile. Die Plätze sind beide gebührenpflichtig und mit Schranke gegen Aus- und Einfahrten gesichert. An der Einfahrt und im Parkgelände steht ein Bezahlautomat. Wir parken zunächst am Straßenrand und rufen Annika erneut an. Diese erklärt uns, dass wir auf jeden Fall in den inneren Ring müssten, die Stadtmauer grenzt den inneren und den äußeren Ring gegeneinander ab.

    
Wir parken am Straßenrand, im Hintergrund der Womo- Stellplatz von Brügge (k)

Sind wir erstmal im inneren Ring gebe es nur sehr wenige Straßen und wir müssten uns dann nur am Kirchturm orientieren…
Gar nicht so leicht bei Dunkelheit…

Wir starten den Motor wieder und versuchen den inneren Ring zu erreichen. Und tatsächlich finden wir kurz darauf eine breite Zufahrt in einem alten Torhaus. Und voila: Wir sind im inneren Ring!
Die Straße besteht fast nur aus Kopfsteinpflaster, die Wege selbst sind fast ausnahmslos Einbahnstraßen. Nachdem wir ein wenig dem Hauptverkehrsstrom hinterher gefahren sind, sehen wir auf der linken Seite plötzlich den Kirchturm, er ist Luftlinie etwa 500 Meter entfernt. Also geht doch!

         
Hier geht es in den inneren Ring           Einfach nur links an der Ampel…

Ich biege an einer kleinen Kreuzung ab und hoffe nun so näher an den Kirchturm zu kommen, was sich leider als Trugschluss heraus stellt. Wären wir doch besser mal der Hauptstraße gefolgt, so sind wir nun auf einem Weg, der uns aus der Stadt wieder hinaus führt, abbiegen ist rechts und links durch Einbahnstraßenverkehr nicht erlaubt.

Nachdem wir uns nun vom Kirchturm weit genug weg bewegt haben verlassen wir den inneren Ring zwangsweise und landen wieder genau an der Stelle, wo wir vorhin schon in die Stadt rein gefahren sind. Vor dem Tunnel…

Also wieder durch den Tunnel, am Bahnhof vorbei und erneut durch das Stadttor in den inneren Ring.

Nun klappt es besser!
Meine Frau in ihrer Eigenschaft als biologisches Navigationssystem hat es während der ersten Runde geschafft das Straßensystem nahezu annähernd zu durchschauen und im Kopf zu kartographieren und leitet mich nun zielstrebig in Richtung Kirchturm.
Wäre ich allein unterwegs, wäre ich doch tatsächlich wieder in die gleiche vermeintlich auf den Kirchturm zuführende Straße hinein gefahren, wie vorhin. Aber Anjas Orientierungssinn ist bestens geeicht. Sie wächst beinahe über sich hinaus, als sie mich auch auf den neuen von uns noch nicht befahrenen Straßen zu einem Marktplatz führt, ohne dass wir falsch abbiegen, in einer Sackgasse landen oder durch das Einbahnstraßensystem wieder aus der Stadt hinaus geführt werden.
Am kleinen Marktplatz halten wir in einer Haltebucht an und orientieren uns neu. Wir können den Kirchturm erneut ausmachen. Er ist keine 200 Meter entfernt! Supi!

Wir rufen Ani an und fragen, ob sie uns schon sieht.
Da das jedoch nicht der Fall ist, folgen wir der Straße zunächst mal weiter und telefonieren während der Fahrt quasi im Echtzeitbetireb.

Plötzlich erreichen wir den Kirchturm und den zugehörigen weitläufigen Platz.
Ani ruft ins Telefon, dass sie uns sehen kann. Leider kann ich hier nicht anhalten, denn es ist nirgendwo ein Parkplatz frei.

So fahren wir erneut ein kurzes Stück von dem Kirchturm weg, ich sehe uns schon wieder aus der Stadt heraus fahren, als wir rechts eine schräge Parklücke ausmachen können.
Wir biegen ab und parken.
Uff, Motor aus! Der Streß mit dem Wohnmobil bei Dunkelheit durch eine fremde Stadt zu fahren ist zu Ende.
Der Parkplatz selbst ist gebührenpflichtig, allerdings ist die Bezahlzeit schon um 19:00 Uhr abgelaufen. Wenigstens etwas.

    
Wir parken auf einem PKW- Parkplatz, mittlerweile ist es dunkel…

Ein paar Sorgen mache ich mir dann doch, weil der Parkplatz gemäß der Beschilderung offiziell nur für PKW zugelassen ist. Naja, wird schon nicht schief gehen und so ziehen wir uns an und machen uns zu Fuss auf das kleine Stück zum Marktplatz zurück zu gehen.

Ani kommt uns entgegen gelaufen, das Wiedersehen ist euphorisch.
Nachdem wir uns begrüsst und umarmt haben, gehen wir spazieren.

Tut gut die frische Luft und die Bewegung der steifen Knochen. Ein bisschen hängt die Fahrt dann doch in den Knien, aber es geht uns beiden bedeutend besser, wie wenn wir mit dem Auto gefahren wären.
Wir bummeln durch das nächtliche Brügge, das auch bei Dunkelheit durchaus eine charmante Ausstrahlung besitzt. Annika führt uns auf meinen ganz speziellen Wunsch zu einer kleinen Bude. Wir haben immerhin seit dem Frühstück nichts mehr gegessen und sind entsprechend hungrig.

              
Brügge bei Nacht:                                 Der Marktplatz                          und der Terminator im Schaufenster

Ich bestelle mir Pommes mit einem Hot-Dog, Anja nimmt ebenfalls Pommes und einen Burger, Ani nimmt nur einen Hot-Dog. Die Bestellung dauert lang, der Laden ist gut besucht, aber nach etwa 20 Minuten Wartezeit können wir unser Abendbrot (in 2 Etappen) in Empfang nehmen. Immerhin die Pommes sind super, wie sie kaum besser in Belgien (der Pommesbude an der Deutsch-Französischen Grenze 😉 nicht sein können.

              
Von der Bude gibt´s was zu essen          Anja und Annika inmitten der Nacht     Der mächtige Brunnen am Marktplatz

Danach spazieren wir noch ein wenig durch die Stadt. Annika zeigt uns einige wirklich schöne Häuser, die alle eine Besonderheit haben, die uns auf den ersten Blick gar nicht aufgefallen wäre.
Zumindest im inneren Kern von Brügge sieht es so aus, als würde kein Haus dem anderen gleichen.
Gut, natürlich haben alle Häuser eine Tür und ein paar Fenster, aber die Art der Bauform und der Ausstattung, sowie der teilweise aufwendig verzierten Außenfassade macht jedes Haus nahezu einzigartig.

Auch der Marktplatz ist wunderschön. Es fahren Kutschen und hier ist richtig was los.
Das Nachtleben von Brügge ist erstaunlich aktiv für einen Sonntagabend nach 21 Uhr.
Überall in allen Bars und Kneipen steppt der Bär. Annika kennt hier jemand und grüßt dort jemand. Wie auf einer VIP- Veranstaltung…

Nach diversen Ah´sss und Oh´sss und einiger schönen Nachtbilder auf dem Marktplatz geht es allmählich zurück zum Wohnmobil. Es ist kalt geworden und ich spüre bereits jetzt empfindlich, dass mir die Jacke fehlt.
Na das sind ja beste Aussichten für Schottland.

    
Das Rathaus? Ani, war das das alte Rathaus?

Am Wohnmobil angekommen überlegen wir, was wir noch machen können.
In eine Bar möchte ich nicht mehr, dafür müssen wir heute noch ein Stückchen fahren.
Nach Hause mag Annika auch nicht und da ich die Atmosphäre des eigenen Wohnmobils sowieso einem Studentenheim vorziehe, setzen wir uns kurzerhand in der Sitzugruppe im Wohnmobil zusammen und trinken ein Stück Heimat.
Anja macht für diesen besonderen Moment extra eine Flasche Karottensaft auf, den wir dann vertilgen.
Wir quatschen über alte Zeiten und neue Ziele, es wird ein ruhiger Abend.

Gegen 21:30 Uhr ist auch das zu Ende, Annika hat morgen wieder eine Vorlesung (immerhin ist morgen Montag!) und so trennen wir uns für heute.
Denn auch wir haben nun noch die letzte Etappe für diesen Abend vor uns.

Ein kurzes Wort zum Thema Brügge und Wohnmobil: Der Stellplatz, den wir am Rand von Brügge gesehen haben, sah aus der Ferne betrachtet durchaus einladend aus.
Man erreicht den Stellplatz (entweder Nachtplatz oder Tagparker) fast zwangsläufig und von ganz allein. Einfach nur in Brügge ab, dann zunächst der Beschilderung „Centrum“ und ab dem Tunnel den Schildern „Station“ hinterher. Kaum ist man am Bahnhof vorbei folgen Wohnmobilpiktogramme, die führen direkt zum Stellplatz.
Die Gebühren haben wir jetzt leider nicht überprüft, die Entfernung zur Stadtmitte beträgt ungefähr 2-3 Kilometer, mit dem Rad auf jeden Fall eine Reise wert.
Wenn wir mal etwas mehr Zeit haben und Annika sich etwas „frei“ geschwommen hat, werden wir Annika über ein Wochenende besuchen, einen Tagesausflug zur nahe gelegenen Nordsee machen und dann auf dem Stellplatz in Brügge nächtigen. Einen entsprechenden Erfahrungsbericht reichen wir dann natürlich nach.

Von Brügge aus geht es weiter in Richtung Grenze nach Frankreich. Die lange Pause in Brügge hat gut getan und auch das Abendessen war mehr als erforderlich, wenn auch ungesund.

Wieder auf der Autobahn tanken wir ein letztes Mal in Belgien an der Tankstelle, die wir bei unserem letzten Besuch auch auf der Autobahn passiert haben. Die Uhr zeigt mittlerweile halb 11.
Zunächst wollten wir ja in Veurne abfahren, wieder an unserer Super- Tankstelle tanken, aber da hier auf der Autobahntankstelle der Sprit damals genauso teuer war, tanken wir eben hier auf der Tankstelle.
Glück für uns, denn die Ausfahrt Veurne ist heute, wie wir später noch sehen werden, gesperrt.
An der Tankstelle passieren uns auch die merkwürdigsten Dinge. Ich stehe so an der Zapfe und genehmige Wohni das gute Diesel, da hält in der Reihe neben uns hinter einem weißen Kleintransporter ein roter Ferrari. Der Fahrer steigt aus und lässt den Motor laufen. Ich denk mir noch „Mutig, den Wagen mit laufendem Motor stehen zu lassen“, da sehe ich, dass der Fahrer tankt! Er lässt doch tatsächlich den Motor während des gesamten Tankvorgangs an. Wird der Tank dann überhaupt voll? Bei dem Verbrauch?

         
Bin gerade fertig an der Zapfe, als…                             …neben uns ein Ferrareristi mit laufendem Motor tankt

Ich lache mit Anja, na der muss es ja haben, kann uns ja was abgeben, oder?
Wir machen uns wieder auf den Weg.
Irgendwann so etwa 10-15 Minuten Fahrtzeit später passieren wir dann die Grenze nach Frankreich.
Für ein Bild ist es zu dunkel, das Schild kommt auch sehr knapp. Schade…

Wir sind gerade ein paar Meter in Frankreich gefahren, röhrt es plötzlich von hinten:
…RRRROOOOOAAAAARRRRRR… und schon ist der Ferrari vorbei. Na bei dem Tempo wird der mit dem belgischen Sprit auch nicht besonders weit kommen. Dieser Gedanke hilft mir doch erheblich über den kleinen Anflug von Neid hinweg.

Allmählich nähern sich die ersten Schilder für den Eurotunnel „Tunnel sous la manche“.
Wo sollen wir nun pennen?
In der Waiting- Area? Auf dem Stellplatz in Pt. Fort Philipe? Oder doch auf unserem Geheimtipp?
Wir entscheiden und erst mal zum Eurotunnel zu fahren.
Vielleicht dürfen wir ja schon früher rein?

Endlich erreichen wir den Eurotunnel, heute ist es soweit, wir freuen uns beide riesig.
Endlich verlassen wir Europäisches Festland und besuchen die Insel.
Das erste mal links fahren, endlich mal was anderes, als nur London von dem sogenannten „Great Britain“ sehen.
Vielleicht ist es wie mit Paris?
Ich meine es gibt Frankreich als ländliche Provinz und es gibt Paris.
Zwei Welten, wunderschön aber jede individuell für sich. Kein Vergleich.
Mal sehen, ob sich das bei unserem Ausflug aufs britische Festland ebenfalls oder so ähnlich darstellt. Bis jetzt kennen wir ja von Britannien nichts anderes, als London.
Wir waren ja schonmal im August hier, damals durften wir jedoch noch nicht rein, aber heute ist es soweit, man sind wir aufgeregt!

              
Zufahrt zum Eurotunnel                        Endlich dürfen wir rein                 Wir stellen uns an, viel los ist ja nicht gerade

Am Check- In erleben wir gleich 2 Überraschungen.
1. Wir sehen an der großen Anzeige „Your next Departues“: 1:37, 4:20 (das ist unserer) und 4:50
Na super, wenn unser Zug schon auf der Anzeige steht, dann können wir bestimmt schon rein.
Innerhalb des Eurotunnelgeländes schläft es sich auf jeden Fall besser, als draußen in der Waiting Area.
Welcher Dieb checkt schon mit einem Fährticket ein, um dann einen armen Camper auszurauben?
Es wird zwar nicht sonderlich ruhig sein, aber wir werden wenigstens einigermaßen sicher stehen.

Nun kommt gleich die nächste Überraschung:
Es steht uns ein Automat und kein menschliches Wesen zum einchecken zur Verfügung.
Ich frage mich nur, warum dieser auf der Beifahrerseite angebracht ist. Gilt denn hier schon Linksverkehr?
Ich steige aus und tippe an dem vor Fingerfett triefenden Terminal unsere Buchungsnummer ein und bekomme 2 Fahrtmöglichkeiten angezeigt.
1. Unsere gebuchte für 4:20 Uhr und dann zusätzlich die „No-Charge“ Fahrtmöglichkeit um 1:37 Uhr.
Ich spreche kurz mit Anja und spontan entscheiden wir uns die frühere Fahrtmöglichkeit zu nutzen.
Es ist jetzt 23:40 Uhr, wir können sofort einchecken, die Zollkontrollen hinter uns bringen, vielleicht noch eine Stunde pennen und dann in den Zug rein.
Dann nochmal so eine halbe Stunde die Augen zu machen und dann sind wir auch schon drüben.
Zwar mitten in der Nacht aber dafür mit einem enormen Zeitvorteil gegenüber den Berufsverkehrfahrern auf dem Londoner Motorway.

         
Ich halte unser Ticket in der Hand    Dann geht es weiter, die Schranke ist auf, juchu!

Nachdem wir also unseren „Boarding-Pass haben“ begeben wir uns gleich zur ersten Zollkontrolle.

Ale erstes aber müssen wir gleich nach dem Check-In durch eine Art überdimensionale Schieblehre durchfahren. Ist so ein Rahmengerüst, das etwa bis zur Reifenhöhe geht. Wir passen durch, wenn auch knapp…
Also Leute, keine Tricks mit Überbreite, die Breite des Fahrzeugs wird direkt nach der Einfahrt kontrolliert…
Wir haben jedoch keine Probleme und fahren hier einfach durch.

Ein Glück, dass mir zuhause rechtzeitig eingefallen ist, dass mein Personalausweis abgelaufen ist.
So habe ich meinen Reisepass mitgenommen und gebe den nun an der ersten französischen Zollkontrolle ab.
Ein einzelner Zöllner schiebt Dienst, scannt die Pässe und wünscht uns eine „Bon Voyage!“
„Merci Monsieur“ entgegen wir und fühlen uns nun schon mal ausgereist.
Als nächstes folgt noch auf dieser Seite des Kanals die hochoffizielle Einreise nach England.
„Rule Britannia, Britannia rule away“ summe ich vor mich hin, während wir auf den englischen Check-Point zurollen. Tolles Europa…

Für die Einreise nach England befindet sich ein paar Meter weiter die nächste Zollkontrolle.
Zuerst können wir nicht so recht einordnen, wo wir uns anstellen sollen.
Alle Anzeigen über den Wärterhäuschen tragen das rote Kreuz, kein grüner Pfeil erlaubt uns eine Bahn zu nehmen. Ich rolle unschlüssig auf die Häuschen zu und entscheide mich für die Mitte, dann aber winkt eine Frau aus einem Häuschen ganz rechts.
Nun muss ich ein Stück im Rückwärtsgang zurück setzen, um auf ihre Spur zu kommen.
Naja, geht halt nicht anders, wir sind eh allein.

Das Einreisen nach Großbritannien ist genau so schnell erledigt, wie die Ausreise aus Frankreich.
Der guten Dame teile ich noch mit, dass sie „oben keinen Pfeil“ hat und sie meint dies sei aber ungewöhnlich, weil das Häuschen rechts doch eigentlich immer besetzt sei und dann geht es auch schon weiter.

         
französische Ausreise                          es geht weiter nach England

Ich bin etwas überrascht, ich frage mich, was gewesen wäre, wenn ich ein Wohnmobil über 6 Meter fahren würde und nicht ein Fahrzeug unter 6 Meter.
Immerhin kostet es mehr, wenn man „Überlänge“ hat, das musste ich auf unserer Nordkaptour schmerzlich erfahren, weil Scandlines oder auch die Tunnelbetreiber uns jedes Mal einen Extra Obolus abgeknöpft haben und das für 40cm…

Aber hier scheint es egal zu sein, ich will gerade etwas dazu sagen, da kommen wir erneut an einen Check- In.
Dieser ist wieder von Eurotunnel direkt, eine Dame fragt uns nach dem Ticket, welches wir aus dem Automaten am ersten Check- In bekommen haben.
Dann meint sie, dass sie noch mein Gas kontrollieren wolle.

Sie wirft sich die Jacke über, kommt aus dem Wärterhäuschen und stiefelt auf mich zu.
Ich steige aus und öffne die Serviceklappe, wo die Gasflaschen verstaut sind.
Während ich mich umsehe, sehe ich Markierungen für 6 Meter auf dem Boden.
Also doch…

Die Dame ist nett, bestätigt uns das Ticket und überzeugt sich persönlich davon, dass der Gashahn abgedreht ist und die Flaschen gesichert sind.

Dann dürfen wir uns in Reihe 7 einreihen. Hier kehrt dann erst mal Ruhe ein.

Es ist 23:57 Uhr, neben uns sind 2 Reihen mit PKW gefüllt, daneben eine kleine Reihe mit Kleintransportern.
Vor uns steht ein VW California und davor ein Hymer.

              
Nun heisst es erstmal warten             auch für uns                                      wir sind Nummer 3 in Reihe 7

Mir ist sofort klar, wonach hier selektiert wird. Die PKW auf die 2- stufigen Wagen, die können dann nämlich im Zug übereinander stehen.
Dann kommen die Kleinlaster, immerhin haben es die Jungs eilig.
Zum Schluss kommen wir, weil wir als Urlaubsfahrer viel Zeit haben und nicht als erste auf das Schiff, pardon, in den Zug müssen.
Ich hasse das.
Ein Glück, dass LKW gesondert abgefertigt werden und nicht mit dem „Touristenfahrern“ in den Zug kommen, sonst würden wir uns mit Sicherheit noch hinter denen einordnen…

Wir haben eine Toilette gleich neben uns und wollen die mal ausprobieren, allerdings sind diese so ekelig, dass man sich die tägliche Notdurft an diesem Ort ohne Probleme abgewöhnen kann, wenn man nur lange genug hier verweilt.
Was für ein Glück, dass wir noch eine bordeigene Toilette haben.

                
Das Klo zum Abgewöhnen: Hat da jemand in die Klobrille gebissen? Uargh, bei dem Gedanken gedeiht der Herpes…

Zurück im Wohnmobil überlege ich, wie ich am besten die verbleibende Zeit totschlagen kann.
Pennen wäre gut und zu versuche ich es zunächst auf dem Stuhl des Beifahrers.
Aber schon nach wenigen Minuten ist der für die Reise bequeme Stuhl als zum richtigen Schlafen ungeeignet qualifiziert und ich entscheide mich dann doch für den Alkoven.
Zwar ist das Bett noch nicht bezogen, aber richtig schlafen will ich ja nicht.
Nur einfach mal hinlegen.
Das Kissen beziehe ich mir, die Klamotten lasse ich an, dann hüpfe ich hoch.

Anja bleibt in der Dinette sitzen, sie möchte nicht schlafen, nur ca. 60 min, das lohnt sich nach Ihrer Meinung nicht und so liest sie sich im Kartenmaterial für England ein, damit wir uns in GB gleich zurecht finden.

Kaum liege ich ein paar Minuten oben, muss ich allerdings wieder aufstehen.
Die besagte Notdurft meldet sich wieder.

Ich sitze also auf meinem Potti sitze wundere ich mich, warum meine Füße plötzlich so nass sind.
Ich taste den Boden mit den Fingern ab und erschrecke!
Alles naß!
Wo kommt das Wasser nur her?

Flugs die Hose hoch gezogen und runter auf die Knie.
Alles absuchen!!!
Ich taste mich in die kleine Sitzecke vor, auch hier ist der Boden nass.
Der Verzweifelung nahe matsche ich im nassen Teppich rum. Erst die kaputte Stoßstange gestern, meine vergessene Jacke und nun das!
Kann denn nicht ein einziges Mal auf einer Reise gar nichts passieren?
Ja herrje, dann ist es eben langweilig, wenn nichts passiert. NA UND?
Aber ich wünsche mir das auch mal!
Aufgeputscht durch Cola und nervös durch fehlende Müdigkeit öffne ich die unteren Klappen und stöbere weiter.
Vielleicht war mein Pumpenproblem ja auch eine undichte Wasserleitung oder eine defekte Verbindung?

Dann findet Anja den Fehler, sie steht auf und entdeckt, dass unser Reservekanister mit Wasser im Bad eben kein Wasser mehr beinhaltet. Der Blick aus der Ferne eben…
Das liegt daran, dass der Kanister offenbar (natürlich von mir) nicht richtig zugedreht war. Das allein ist natürlich noch nicht schlimm, aber der Kanister hat nun in einer Kurve das Gleichgewicht verloren und so einen Teil seines kostbaren Inhaltes in bester Geberlaune mit dem Fußboden geteilt.
Wasser im Wohnmobil?
Das geht nun wirklich nicht!
Doch! Mit Björns Blödheit!
Denn er erfüllt gleich 2 Wünsche auf einmal! Erstens dreht er den Deckel nicht richtig zu und zweitens ist er auch noch so dämlich den Kanister eben nicht gegen Umfallen zu sichern.
Alles in einem!
Buchen auch Sie noch heute ihren Björn, für ein feucht-fröhliches Wohnmobilvergnügen, jetzt in ihrem Reisebüro, auf www.transitfrei.de oder in jedem siebten Ei…

Ich kann nicht mehr, ich bin platt.
Meine Ironie, mein Galgenhumor kann doch eigentlich nur der Schlafmangel sein. Ist wie eine Droge.
Ich fühle mich wie Jack Nicholson in „Shining“…

Wir versuchen dem ausgelaufenen Wasser Herr zu werden.
Die kleinen Teppichstücke aus der Nasszelle wandern sofort in das Waschbecken, die sind feucht und triefnass wie eine Schniefnase im November und dürften somit nicht mehr zu retten sein. Später werde ich diese noch hier auf dem Parkplatz entsorgen.
Zum Glück haben sich die Teppichstücke somit heldenhaft für die Sache geopfert und versucht so viel Wasser wie möglich aufzusaugen, bis ihre Kapazität restlos erschöpft war.
Der Rest des Trinkwassers hat sich daraufhin in Richtung Flur aufgemacht.
Der Teppich ist auch hier oberflächlich nass, aber wenigstens nicht vollgesogen und triefend.

Zu unserem Glück hatten wir den neuen Teppich damals nicht fest verlegt oder eingeklebt.
Wir waren uns nicht sicher, ob wir den behalten wollten und haben mit dem Poco- Reststück eigentlich nur experimentieren wollen.
Das Ergebnis damals war für uns OK und so haben wir das so gelassen.
Nun können wir den Teppich einfach so zum trocknen anheben, um Küchentücher und Küchenrolle unter den Teppich zu legen.
Das muss erst mal reichen.
Der Boden des Wohnmobils ist an dieser Stelle irgendwie versiegelt, ist es PVC? Ich weiß es nicht genau. Aber es ist mir schon aufgefallen, als wir damals den Teppich verlegt haben. Auf dem Fußboden ist so eine Art Schicht ähnlich wie Wachs, das Wasser perlt ab und lässt sich mit der Küchenrolle ganz leicht aufnehmen. Na wenigstens etwas.

Ich steige trotzdem mal aus und lege mich hinten unter das Wohnmobil. Vielleicht ist der Boden ja auch irgendwo undicht und das Wasser läuft hinaus?
Ein zwischenzeitlich eingetroffener und hinter uns stehender Womo- Fahrer mit einem 2006er Ducato als Basisfahrzeug ist so nett und leuchtet mit seinem Scheinwerfer, sodass ich unter mein Fahrzeug sehen kann. Ich krabbele auf allen vieren unter die Bodenplatte.
Hmm, ich bin froh zu sehen, dass hier wenigstens alles trocken ist.
Es scheint so, als gäbe es aus dem Fahrzeug keinen Ablauf oder eine undichte Stelle, aber das ist auch gut so, denn wenn nichts raus läuft, kann auch nichts rein laufen.

Ich will gerade wieder aufstehen, als mein Kopf Bekanntschaft mit etwas hartem macht.
„Bong“ ertönt es dumpf…
„Ach ja richtig, der Fahrradträger“ fällt es mir unter einem stechenden und puckernden Schmerz aus Richtung Denkzentrale ein.
Hilft nichts, nützt nichts, ich reibe mir die Runkelrübe und bedanke mich durch Heben der Hand beim Womo- Fahrer hinter mir für die Lichtspende.
Habe offenbar gut zugeschlagen, auf meinem Kopf bildet sich ein kleines Hörnchen…

Ich bin einfach jetzt und hier zu müde, dass wir noch was machen könnten und so haue ich mich wieder in den Alkoven.
Anja kämpft noch ein bisschen mit dem soeben gestoppten Wasserausbruch weiter, erledigt die Feinarbeit und trocknet den Rest vom Boden.

So liege ich im Alkoven und dämmere tatsächlich nochmals ein wenig ein. Die Hintergrundgeräusche werden allmählich weniger und meine Gedanken kreisen um vollkommen andere Dinge. Fast wie ein Traum, aber dennoch ein wenig wach irgendwie.
Ich höre zwar irgendwann eine Durchsage auf französisch und dann auch in englisch, bekomme das aber nicht bewusst mit.
Nach ein paar Minuten ruft dann Anja von unten, es geht los…

Nur Sekunden später sitze ich hellwach in meinem Fahrersessel. Die Autos neben uns fahren schon los, bis auf eine Reihe. Dort hat offenbar der Fahrer eines vorne stehenden Toyota ebenfalls das Land der Träume betreten und noch nicht verlassen. Der hinter ihm stehende Wagen hupt und blinkt, es nützt aber nichts. Der hinten stehende Wagen war darüber hinaus so klug so dicht aufzufahren, dass er nun an dem Schläfer nicht vorbei kommt.
Er wird von Fahrzeugen hinter ihm überholt, sein Gehupe wird wilder.
Armer Irrer, auf die Idee ein Stück zurück zu setzen (denn hinter ihm ist mittlerweile alles frei! )und dann ebenfalls an dem Schläfer vorbei zu fahren kommt er offenbar nicht. Das ist das Problem, dass wir durch unser Sehfeld bedingt in Stresssituationen nur das sehen, was unmittelbar vor uns passiert. Auf die Idee mal den Kopf zu drehen oder nach hinten zu schauen kommt er nicht.
Vielleicht ist aber auch sein Rückwärtsgang kaputt, wer weiß.

Wir sind dran, der Hymer zieht vor und auch in dem VW direkt vor uns regt sich Leben. Wir starten das Wohnmobil, folgen dann den Pfeilen. Dann geht es eine Rampe hinunter und seitlich in den Zug hinein. Die Wagen sind sehr groß, man muss sich diese Teleskop- oder Haubenwagen vorstellen, wo an bestimmten Stellen die ganze Seitenwand aufgemacht werden kann. Der Hymer vor uns zieht in den Zug, wir bleiben dicht dahinter.
Für die Einfahrt muss man übrigens das Licht ausschalten und auch Fotografieren mit Blitzlicht ist verboten, weil sonst die Alarmsysteme für Feuer ansprechen würden.

         
Es geht los, die Rampe erst rauf, dann runter…             …dann dem Hymer hinterher seitlich rein in den Zug

    
Im Zug fahren wir dann durch die Waggons                      bis der Hymer anhält (und wir dann natürlich auch)

Nach einiger Zeit kommt eine Dame mit offizieller Warnjacke vorbei, winkt den Hymer und dann uns noch ein Stück vor.
Der Hymer steht nun im Wagen vor uns als letzte, wir stehen als erste in unserem Wagen.
Wir werden gefragt, ob die Handbremse angezogen und der 1.te Gang eingelegt ist, dann erhalten wir einen Unterlegkeil vor die Reifen.
Vor uns schließen sich die Seitenwände, dann fährt ein Metallrollo herunter. Bestimmt aus Feuerschutz.

Und dann stehen wir. Ich steige aus und schaue mich ein wenig um. Ich weiß von einer früheren Busreise, dass es weiter vorne im Wagen auch einen Wartebereich gibt. Aber außer einfachen Sitzgelegenheiten und einem Klo gibt es dort nichts zu sehen, so entscheiden wir uns beim Fahrzeug zu bleiben, die Fahrt dauert ja nur was um 30 Minuten.
Wenn man nach vorne gehen will, gibt es seitlich an den Feuertüren Zugangstüren, die sich auf Knopfdruck öffnen.

         
So, wir stehen, von hinten kommt schon das nächste Womo  Alle da! So sieht es dann von der Seite aus

         
Die Seitentüren gehen zu…                                            und von oben kommt ein Metallrollo

Der Zug setzt sich in Bewegung, es schunkelt und ruckelt ein wenig, aus den kleinen Sehschlitzen und Mini- Fenstern kann man die Betonlandschaft vorbei ziehen sehen, dann geht es auch schon rein in den Tunnel.

Man sieht nicht wirklich viel, ist halt wie in einem Tunnel. Da würden auch größere Fenster keinen Sinn machen, weil es eh nichts zu sehen gibt. Alle paar Meter mal eine Neonröhre, sonst nichts, ich steige zurück ins Wohnmobil.
Das Schaukeln hat nun durch die höhere Geschwindigkeit zugenommen und fühlt sich eigentlich genauso an, wie auf einer Fähre bei etwas stärkerem Seegang.
Nur, dass die Ruckler nun etwas heftiger sind, die starre Schiene erlaubt nunmal keine Pufferzone…
Die 4 Wohnmobile in unserem Wagen wackeln im Takt, als würden sie tanzen, sieht urig aus…

Ich schmeiße mich wieder in den Alkoven, lieber 30 Minuten Augen zu, als gar keinen Schlaf.
Das Schaukeln ist schön und innerhalb von nur 5 Minuten bin ich wieder an der gleichen Stelle, wo ich vorhin schon mal war. Ein merkwürdiger Dämmerzustand.

Im Zug kommt plötzlich eine Durchsage, ich habe den Eindruck, als hätte ich die Augen erst vor 5 Minuten zugemacht.
Der Zug wird langsamer, das schunkeln weniger, ich stehe auf und nehme wieder die Fahrerposition ein.
Anja hat die Fahrtzeit über genutzt, um die Karte für die Umfahrung Londons zu nutzen.
Kann nicht schaden.

Der noch feuchte Teppich ist zur Seite geklappt, der Boden ist wieder trocken.

Kaum steht der Zug geht es auch schon fast los.
Zuerst werden die Rolltore wieder geöffnet und die Seitenwände der Feuertür eingefahren, der vor uns stehende Hymer im nächsten Wagen ist noch da.
Dann warten wir noch etwa 3 oder 4 Minuten und schon setzen sich die ersten ganz vorn in Bewegung, man erkennt es an den startenden Motoren und der Reflektion der Bremslichter an der Zugwand. Dann setzt sich auch der Hymer vor uns in Bewegung und wir sind dran.
Ich starte Wohni und wundere mich über das Röhren, na ja, wird wohl nur der Hall und das Echo hier im Zug sein.

Wir verlassen den Zug, fahren eine Rampe rauf und befinden uns ohne etwas besonders dazu getan zu haben das erste Mal „links“, bzw. auf der linken Fahrspur.
Ungewohnt, aber zum Glück fährt das englische Hymermobil eine Zeit lang vor uns her und erleichtert uns so die erste „Linksfahrt“.
Wir reisen auf der M 20 erst einmal in Richtung London, dort dann auf dem Londoner Ring und wollen dann die M 1 hoch nach Schottland.
Wir hatten uns zuerst überlegt eine Übernachtungsmöglichkeit direkt nach dem Tunnel anzusteuern, aber einsetzende Wetterkapriolen machen uns hier einen Strich durch die Rechnung.
Bei dem Wetter können wir keinen schicken Stellplatz ausfindig machen.
Und direkt am Eurotunnel mag ich nicht schlafen, hier laufen bestimt „finstere Gestalten“ herum.

England begrüßt uns aber auch wirklich gebührend, es nieselt ein wenig, zu wenig für Scheibenwischer, zu viel für ohne.
Ein 23 Jahre alter Duc 280 hat eben leider noch keine Intervallschaltung.
Es geht nur „ein“, „ein im Schnellgang“ oder „aus“.
Naja, dann eben Intervallschaltung per Handbetrieb. Das hält wenigstens wach.
Und es hält sogar so wach, dass wir überlegen die Dunkelheit (und die Ruhe auf der Autobahn) zu nutzen, um bereits jetzt den Londoner Ring zu passieren.
Erst danach würden wir, wenn es anfängt hell zu werden und die Diebe schlafen gehen, einen Schlafplatz aufsuchen und versuchen selbst ein paar Stunden Schlaf nachzuholen.

         
Dann sind wir da: Tore auf, wieder dem Hymer hinterher..   …bis zum Ausgang, da rechts ist schon England!!!

          
Dann nur noch die Rampe hoch und:…                          … rauf auf die linke Spur, wir sind in England             (k)    

Bedenklich sind übrigens auch die ersten Begegnungen mit den LKW, die fahren hier zunächst sehr dicht auf, überholen dann mit etwa 90 – 100 km/h auf der für uns ungewohnten rechten Seite.
Man muss sich doch ein wenig umstellen. Ich warne Anja jedes Mal vor, wenn sich ein LKW im rechten Spiegel nähert, damit sie sich nicht ganz so arg erschreckt, wenn ein 40-Tonner plötzlich in geringem Abstand an ihr vorbei rauscht.
Auch der Wind wird stärker, weht nun fast genau 90° von der Seite. An uns vorbei fahrende LKW bilden ebenfalls einen Sog, man muss das Lenkrad ganz schön festhalten…

So fahren wir etwas angestrengt die ersten Kilometer, nach den ersten 20 oder 30 wird es aber dann nach und nach leichter und man gewöhnt sich an die neue Verkehrssituation.

Auf einer Brücke erwischt uns dann aber doch unerwartet eine Böe so stark, dass wir auf jeden Fall in den rechts neben uns fahrenden Wagen oder LKW gedrückt worden wären, wenn dort jemand gefahren wäre.
Der Wind frischt definitiv auf, die Böen haben mittlerweile Orkancharakter, eine so gefährliche Situation hatte ich im Wohnmobil noch nie.

Puh, ich muss mich jetzt aber wirklich zusammen reißen, wir haben jetzt Urlaub und wollen hier ja kein Unglück erleben. Schneller reagieren und das Lenkrad besser festhalten. Und natürlich die Sinne wieder schärfen. Das Adrenalin der eben erlebten Situation hilft mir dabei.
Ich sammle meine Kräfte und schaue wieder nach vorn.
Vielleicht ist es Einbildung oder Wunschdenken, aber jetzt im Moment fühle ich mich fit, ich könnte fast durchfahren bis Schottland, so wach bin ich. Beinahe aufgekratzt.
Die 1 Stunde in Calais und die 30 Minuten im Zug sind doch eigentlich genug Pause und Schlaf, oder?

Wir könnten auch anstelle der angestrebten Schlafpause nach dem Londoner Autobahnring einfach durchfahren!
Mit etwas Glück könnten wir so vielleicht schon heute Mittag den Sherwood Forrest erreichen?
Schon mittags Einchecken auf einem Campingplatz und den Tag in Ruhe verbringen, das wäre das eine super Kilometerfresserei für den ersten Tag!!
Ganz klar auf Kosten von Schlaf, aber wir wollen hoch und dann muss man schon mal Abstriche machen.
Und wenn es nachher hell ist, wird der Stress mit dem ausgelaufenen Wasser schon längst vergessen sein.

Wir fahren erstmal. Man gewöhnt sich nun doch recht schnell an den Linksverkehr.
Und wenn man knapp über 90 fährt, dann ist das mit den LKW auch nicht so schlimm.
Nur das Wetter bleibt kritisch.

Doch eine Sache stimmt nicht, es ist irgendwie sehr laut im Wohnmobil, beinahe dröhnend.
Ich bekomme davon sogar Kopfschmerzen.
War der Motor denn schon immer so laut?
Oder verstärkt meine Müdigkeit meinen Eindruck vom brummenden Motor?

Wir erreichen den äußeren Ring von London, haben dann aber ein paar Orientierungsprobleme den richtigen Weg zu finden. Problematisch ist die richtige Zuordnung der Straße. Mal haben wir ein M für Motorway, mal nur ein A und mal ein A oder M in Klammern, während wir noch geradeaus fahren und nachdenken, ist es auch schon passiert.
Grundsätzlich wollten wir ja auf die M 1, doch diese ist (noch) nicht ausgeschildert.
Wir verpassen eine frühere Möglichkeit London „links“ herum zu umfahren und sind plötzlich auf der M 25, die uns rechts um London herum führt. Naja, egal, dann eben rechts herum.

Wir erreichen den Dartford- Tunnel, zu unserer Überraschung wird hier tatsächlich für die Durchquerung Kohle im Rahmen einer Tunnelgebühr oder Maut fällig!
Und wir haben noch keine Pfund!
Wir wollten lokales Geld hier in GB irgendwo an einem Automaten holen und uns die Wechselgebühr sparen, die wahrscheinlich genau so teuer geworden wäre, wie die Strafgebühr, die dann am Automaten fällig wird.
Ach können die sich nicht einfach auch an den Euro gewöhnen?
Das ist doch wirklich die einfachste Sache der Welt.
Ich war am Anfang auch skeptisch und klar stört mich auch die 1:1 Umrechnerei, die so manche Betriebe nach der Euroeinführung angewandt haben.
Aber für uns als Reisende ist es das beste Währungssystem der Welt.
Kein Umrechnen im Ausland mehr, keine Geldwechsellei gegen teure Gebühren.
Keine Probleme!

Ich komme hier an der Bezahlstation zum ersten Mal, seit dem wir aus dem Zug heraus gefahren sind, zum stehen.
Nanu, was ist das? Ein schepperndes Geräusch kommt im Stand zum Vorschein, es klingt, als würden hinten alle Töpfe und Pfannen um die Wette klappern, nur mit der Ausnahme, dass das Geräusch von vorne und leider nicht von hinten kommt.

Damit ist es amtlich und bestätigt!
Irgendwas stimmt mit Wohni nicht, das Gebrumme habe ich mir weder durch Müdigkeit noch sonst wie eingeredet.

Es kommt wieder Angst in mir hoch, das Adrenalin ist sofort zur Stelle.
Anja übernimmt das Bezahlen, immerhin ist die Mautstation wie für die Linkslenker üblich auf der linken Seite.
Offenbar ist es so, dass hier schon des öfteren „Gäste des Tunnels“ ohne gültige Währung eingetroffen sind.
Wir dürfen mit einem 5,- € Schein bezahlen, bekommen dafür im Gegenzug unsere ersten Pfund.
Genau 2,35 Pfund erhalten wir zurück.
Das alles bekomme ich allerdings nur am Rande mit, Anja muss es mir später erzählen.
Ich habe nur noch Ohren für das scheppernde Geräusch.
Das kommt vom Motor!
Die Nackenhaare sträuben sich, es überzieht ein kalter Schauer meinen Rücken, gleichzeitig wird mir siedend heiß im Kopf und die Hände werden feucht.
Was hat das Ding denn nun schon wieder für ein Problem?
Können wir nicht einmal 500 Kilometer fahren, ohne ein Problem zu bekommen?
Hat das mit dem Wasser und der verkackten Beule in der Stoßstange denn noch nicht gereicht?
Ich halte direkt nach der Mautstation noch vor dem Tunnel links auf einem Halteplatz, der für die Begleitfahrzeuge der Gefahrgut-LKW reserviert ist.
Ich steige aus, Gischt und Nieselregen peitschen mir aufgewirbelt durch den Wind heftig ins Gesicht, dazu die kalten Temperaturen, die so etwa bei 13°C liegen müssen
Das Wetter hier ist wirklich ekelig.

Zunächst öffne ich die Haube, kann aber nichts am Motor erkennen.
Es kommt doch eher von unter dem Auto.
Ich werfe mich trotz kurzer Hose und einfacher T-Shirt- Bekleidung auf den nassen und kalten Asphalt-Boden.
Meine Hand greift zum Auspuffrohr und ich bekomme ein echtes Branding als Quittung!
OK meine Haut verbrennt es nicht wirklich, aber es ist zum Zeitpunkt der Berührung so heiß, dass ich für einen kurzen Moment froh bin, dass wir ein so mieses Wetter haben.
Ich halte meine Handfläche beinahe instinktiv auf den kalten Boden und fühle, wie sich die Kälte des Bodens auf die verbrannten Hautflächen legt.
Fehlt nur noch ein kleines Wölkchen Dampf wie in einem Zeichentrickfilm.
Ahh, das tut gut…

Kaum habe ich meine Hand erholt, hält neben dem Wohnmobil ein Fahrzeug.
Es ist eins der Service/ und Begleitfahrzeuge für die Tunneldurchquerung, der Fahrer steigt (in wetterfesten Herbst-/Winterklamotten) aus und mustert mich erst mal von oben bis unten.
Es muss schon ulkig aussehen, dass hier mitten in der Nacht ein in Sommerkleidung mit kurzer Hose und T-Shirt umher irrender Touri auf der Autobahn sein Unwesen treibt.
Er fragt mich, wo das Problem sei.
Ich antworte ihm, dass wir wahrscheinlich ein Problem mit dem Auspuff hätten und er bittet uns, wenn das Auto noch fährt, dass wir ihm auf einen etwas abseits abgelegenen Parkplatz folgen sollen, da das hier eine Autobahn sei und wir hier besser nicht stehen sollten.
“ Klugscheißer“ denk ich mir, ich weiss, dass das hier eine Autobahn ist, so etwas haben wir auch in Europa…
Jetzt nur nicht frech oder pampig werden…

Ich habe Bedenken, dass das scheppernde Teil vielleicht abfällt, sich unter dem Auto verkeilt oder anderweitig einen Unfall verursacht und möchte eigentlich ungern fahren, ohne zu wissen, ob es gefährlich ist.
Der freundliche Herr meint, dass es hinten ausreichend Platz und Licht für eine Untersuchung gebe und wir ganz langsam fahren, wenn es ein Problem gibt, können wir ja jederzeit anhalten.

So folgen wir dem Pick-Up unter eingeschaltetem Rundum- Gelbwarnlicht bis zu einem Parkplatz, wo der Fahrer mir mit seiner Taschenlampe nochmals behilflich ist.
Ich prüfe nun im Schein seiner Taschenlampe den Krümer.
Der ist fest.
Also wieder runter auf den nassen Parkplatzasphalt.
Das unter dem Auto verlaufende Rohr scheint auf den ersten Blick noch in den Gummis zu hängen.
Auch der Topf selbst hängt noch auf der anderen Seite in den Gummis.
Also die Gefahr, dass der Topf abfällt, besteht somit nicht.
Damit können wir wenigstens erst mal etwas fahren.
Nur das in den ersten Topf einlaufende Rohr scheint irgendwo gebrochen zu sein.
Ich kann es mit der Hand bewegen und somit das scheppernde Geräusch (Metall reibt auf Metall) zweifelsfrei zuordnen.
Ich bedanke mich bei unserem freundlichen Helfer und steige wieder ins Wohnmobil.
Der freundliche Eskortenfahrer meint, dass er uns gern behilflich ist, wenn wir den Automobilclub brauchen oder so was.
Na, so weit sind wir ja noch nicht. Ich kann zwar hier und jetzt den ADAC anrufen und uns abschleppen lassen, aber bringt es das? Wohin sollte er uns denn schleppen?
Ich steige ein.
Pitschnass und frierend will ich mich erst mal mit Anja beraten, was wir nun am besten in der dieser aussichtslosen Situation machen können. Meine Haut dampft, als ich mich im Wohnmobil wieder einigermaßen warm geschlottert habe.

Schon wieder ein Rückschlag ich bin den Tränen nah, am liebsten würde ich das Womo genau hier und jetzt verkaufen, ja sogar verschenken an denjenigen, der mich nur weg von hier auf dem schnellsten Weg nach Hause in mein Bett bringt.

Ich will aufgeben, hoffen, dass wir mit dem kaputten Auspuff bis nach Hause kommen, einfach umdrehen, scheiß auf die Fähre ab Newcastle in 9 Tagen, direkt wieder rein in den Tunnel und damit das Abenteuer England und Schottland an genau dieser Stelle beenden.

So sitze ich erst mal auf meinem Fahrsitz, in mich zusammen gesunken und noch immer frierend, Anja versucht mich zu trösten.
Nach ein paar Minuten ist sie es, die sich ganz nüchtern die Fakten betrachtet. Sie bittet mich um meine Einschätzung, wie es denn von unten aussieht und ob wir fahrbereit sind.
Ich denke nach, die Gummis hingen ja alle in den Halterungen, auch bei Rütteln des Auspuffs ist da nichts lose, nur eben dieses unglaublich laute Scheppern und das Dröhnen während der Fahrt.
Ich bitte sie, flehe sie beinahe an, dass wir nach Hause fahren sollen, doch damit ist Anja überhaupt nicht einverstanden.
Sie meint, dass wir uns besser erst mal einen Standplatz suchen und morgen, wenn es wieder hell wird, die Sache nochmal in Ruhe betrachten sollten.
Schaden feststellen, Alternativen überlegen und dann in Ruhe entscheiden.

Ich bin zu müde und zu schwach mich zu widersetzen und vielleicht hat sie sogar Recht. Hier und jetzt nach Hause fahren ist eine klare Kurzschlussreaktion. Schnell heim in die warme und sichere Burg. Der Fluchtinstinkt in die Sicherheit eben.
Anja ist da halt etwas stärker und so setzen wir die Fahrt erst mal in Richtung des ursprünglichen Ziels fort.
Ich überlege, ob die Schaukelei im Zug dem Auspuff den Rest gegeben haben könnte, ganz schön gewackelt hat es ja schon und gedröhnt hat es eigentlich erst, als wir aus dem Tunnel heraus gefahren sind.
Hat vielleicht noch jemand ein ähnliches Problem nach der Ausfahrt aus dem Eurotunnel gehabt?
Vielleicht sollten wir die Betreiber verklagen? 🙂

Wir durchqueren den Tunnel, für den wir vorhin bezahlt haben. Ich habe das Fenster auf und höre in die Nacht. Die Bezeichnung „Deutsche Panzer rollen wieder“ kommt mir als aller erstes in den Sinn. Es ist mir unglaublich peinlich hier mit dem röhrenden Wohnmobil, das ab sofort die neue Kennung „Panzer 1“ erhält, die Mitnutzer der Autobahn mit dem unnötigen Lärm zu belästigen, ein Glück, dass wir um diese Zeit nicht durch Wohngebiete fahren müssen.

Bereits kurz vor dem Tunnel war uns ein Schild mit der Aufschrift „Services“ aufgefallen. Direkt nach dem Tunnel wird das Schild wiederholt, ich vermute eine Raststätte mit Tanke und sowas in der Art.
Anja hofft sogar auf ein bisschen mehr, vielleicht eine Werkstatt oder sowas und so fahren wir hier mal ab.

Wir finden eine Tankstelle, ein Restaurant und einen riesigen Parkplatz vor. In einer Ecke steht ein niederländischer Hymer. Ich suche uns eine abseits gelegene Ecke, neben dem Hymer mag ich wegen unserer Geräuschentwicklung nicht stehen und beim Einparken die armen Leute wecken.

Der Motor schweigt und ich höre die ersten Anzeichen des drohenden Tinitus, ein Rauschen und Pfeifen in den Ohren, wie nach einer durchzechten Disconacht.
Wir putzen uns die Zähne und legen uns in das halb gemachte Bett.
Anja pennt sogar in Klamotten, wir sind nun, nachdem es endlich ruhig geworden ist einfach zu kaputt uns hier häuslich einzurichten.
Alles, was mir noch einfällt ist die Sicherung der vorderen Türen mit dem Gurt, Abschließen der Safe-Door und Verrigeln der Aufbautür von innen.
In der Hoffnung, dass keiner an die Türen hämmert, fallen wir in einen bleiernen Schlafzustand. Meine Gedanken kreisen um mögliche Stundenlöhne und Ersatzteilpreise hier in Groß-Britannien.

So geht der längste Tag für uns zu Ende, „Panzer 1“ hat seine Mission erfüllt, die Insel ist unter deutscher Lärmkontrolle…

Ach ja, Bilder haben wir leider an dieser Stelle keine mehr, der Stress und die Hektik gepaart mit nervöser Müdigkeit haben es sogar geschafft uns gedanklich von der Bildschießerei abzubringen. Traurig, aber wahr.

KM- Stand bei Abfahrt: 175.686
KM- Stand bei Ankunft: 176.232
Selbst gefahrene Kilometer: 546

Zitat des Tages (irgendwo auf der Autobahn, kurz nach dem Tunnel):
„Hier sind 60 Schlumpfbär!“
„Ja Schatz, ich weiß…“
„Aber du fährst 90!“
„Schnubbi, das sind Meilen“
„Oh!“

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